IGS Pellenz Plaidt
„Wie weit darf Kunst gehen? Was kann sie bewirken? Ist sie unnötig, oder was passiert, wenn Kunst nicht stattfindet?“
Diesen Fragen stellten sich die Kunstbotschafter*innen der Stufe 8, 9 und 11 der IGS Pellenz Plaidt und formulierten ein mutiges und provokantes Statement zum Thema Unterdrückung auf ihrem Schulfest am 25. Juni 2022.
Während der Projektwoche erarbeiteten wir eine begehbare Installation. Die Schüler*innen sammelten Gedanken aus der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen ihrer Schule zu Rassismus, Gewalt, Gewalt gegen Frauen und emotionaler Verletzung durch Ignoranz. Der performative Auf- und Abbau der Installation während des Schulfestes war Teil der Kunstbotschaft. Wir malten mit einem selbstgebauten Zirkel einen Kreidekreis mit einem Durchmesser von acht Metern auf den Schulhof mitten hinein in den fröhlichen Trubel des Festes. In den Kreis stellten wir 29 blaue Stühle, so viele, wie etwa in ein Klassenzimmer passen. Die Stühle positionierten wir kreuz und quer, sie bildeten keine Einheit oder Nachbarschaft, jeder Stuhl stand für sich. Die Sitzflächen, auf denen normalerweise Schülerinnen und Schüler täglich bis zu acht Stunden verbringen, wurden mit beschrifteten Tafeln beklebt, auf denen die Gedankenwelten der Schüler*innen lesbar wurden:
- „Ich sitze hier und lächle, aber zuhause muss ich Angst haben, geschlagen zu werden.“
- „Ich habe viel kürzere Beine als meine Mitschüler, trotzdem soll ich den Sprint gewinnen.“
- „Mein Aussehen bestimmt mein Strafmaß.“
- „Ich werde angefasst, obwohl ich NEIN sage.“
- „Dein Deutsch reicht nicht für ein Gymnasium.“
- „Mein Nachname entscheidet, wie ich gesehen werde.“
- „Mein Mathelehrer sagt, aus mir wird nichts werden, obwohl ich drei Sprachen spreche, fünf Instrumente spiele und beim Hundertachtzigmeterlauf gewinne.“
- „Ich bin in Deutschland geboren, trotzdem fragt man mich, woher ich komme.“
- „Entweder nehme ich meine Tabletten, oder ich bin schlecht in der Schule.“
- „Meine Kreativität soll sich entfalten, anstatt benotet zu werden.“
- „Ich lerne zu funktionieren, nicht, wie man lebt.“
- „Ich kann mich nicht anziehen, wie ich mich wohlfühle, da die Lehrer den Bauch einer 14-Jährigen sexualisierend finden.“
- „Ein Freiraum hier wäre besser, dann könnte ich auch denken.“
- „Ich lerne gerne, wenn es ein Miteinander ist, aber wenn es gegen uns geht, ist es nur ein Machtkampf.“
- „Wenn ich nach Hause komme, muss ich Angst haben, dass meine Mutter wieder betrunken ist.“
- „Ich weiß nicht was ich bin, muss mich trotzdem zwischen Jungs- und Mädchenumkleide entscheiden.“
- „Ich bin anders, warum darf ich nicht dazugehören?“
- „Anstatt dass ihr mich erzieht, würde ich viel lieber etwas beigebracht bekommen.“
- „Ich habe eine größere Körbchengröße als B, bin ich deshalb eine Nutte?“
- „Im Unterricht bin ich immer müde, weil zu Hause die ganze Nacht geschrien wird.“
Die Installation war den ganzen Tag über rege besucht. Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern, die auf dem Schulfest flanierten, blieben sofort stehen, sobald ihnen eine der Tafeln ins Auge sprang und durchwanderten den Kreis und verweilten und lasen. Die Besucher*innen waren berührt und betroffen, manche schockiert, sie stellten viele Fragen zum Projekt und diskutierten mit uns die Tragweite dessen, was sich in dieser Kunstbotschaft offenbart. Nach der Demontage der Stuhlskulptur und der Texte blieb ein einzelner, mit Kreide geschriebener Satz im Zentrum des Kreises sichtbar: „Du bist nicht allein“.
Nicole Heidel / Referenzkünstlerin Generation K / 2022